Lichtblick 

Ausgabe 12 (11/2002)

Unser Glülck

"Lange hatten wir überlegt, ob wir überhaupt einen Bericht über Maries Hirntumor schreiben sollten. Bedenken hatten wir deshalb, weil Marie so unglaublich viel Glück gehabt hat und es uns darum fast unangenehm gewesen ist, mit anderen Menschen zu sprechen, deren Kinder eben nicht so viel Glück hatten. Den Bericht im "Lichtblick" wollten wir aus demselben Grunde auch gar nicht schreiben, aber Frau Söder überzeugte uns schließlich, dass auch ein Beitrag nit solch einem guten Ausgang Mut machen kann!
Darum: ..."

Wer diesen Bericht von Familie Geese/Arnold - oder auch einen der unten folgenden - weiterlesen möchte, kann im Elternhaus einen Lichtblick bekommen. Es lohnt sich wirklich, die gesamte Geschichte zu kennen!

Vor der Angst loszulassen und der Kraft eines kleinen Löwen

"...
Erste Operation
Am 3. März 2003 war es dann soweit: Mein Mann Stefan, Leon und ich reisten nach Göttingen. Zwei Tage verbrachte Leon auf der Kardiologischen Station 2014 und wurde gründlich (EKG, Ultraschall, Lungenszintigrahie, Herzkatheter ...) untersucht. Weil der Papa im Krankenhaus immer bei ihm schlafen soll, zog ich ins Elternhaus. Dort wollten Stefan und ich während der Intensivphase beide schlafen und für die Zeit "danach", hatte eine Zufallsbekanntschaft aus der Nähe von Göttingen versprochen, mich mit Jakob aufzunehmen, denn wir hatten gehört, dass Geschwisterkinder nicht im Elternhaus wohnen können.
Jakob war also erstmal bei Oma und Opa geblieben, aber verstand überhaupt nicht, warum ihn alle "allein gelassen" hatten.

Um uns um Jakob zu sorgen, waren wir aber kaum noch in der Lage, denn Leons Zustand nach der Operation war sehr, sehr schlecht. Nach 17, im Alptraum verlebten Stunden, konnten wir ihn kurz sehen. Er lebte ... und Ärzte und Schwestern versuchten, ihn am Leben zu halten. Nach zwei Tagen, die wir wie im Nebel verbrachten, schien er über die kritische Phase hinweg zu sein, aber noch immer lag unser kleiner Schatz mit offenem Brustkorb, vielen Schläuchen und unzähligen Kabeln vor uns. Wir konnten nur da sein, seine Hand halten; hoffen, dass er unsere Stimmen hört und fühlt, dass wir bei ihm sind ... und beten!
..." 

"Wie lange dauert eigentlich Trauer?"

"Mit dieser einfachen und doch so schwierigen Frage konfrontierte mich vor einiger Zeit eine junge angehende Krankenschwester.

Ich hab' wohl ein wenig perplex und ratlos dreingeschaut, denn sie ergänzte die Frage mit den Worten: 
"Na ja, man sagt doch immer, alles hat seine Zeit und ich möchte doch nur wissen, wie lang ist die Zeit der Trauer?
"Ich lächelte und antwortete:

"Wenn ich wollte, könnte ich Ihnen darauf auch eine ganz kurze und einfache Antwort geben, die da lautet: EWIG!
Aber dies wäre wohl ein wenig zu kurz und zu einfach und nicht so leicht zu verstehen, also will ich versuchen, es anhand unseres Schicksals ein wenig zu erklären."
..."

15 Jahre Elternhaus Göttingen 

"Ich glaube, jedem, der mit der Universitätsklinik Göttingen zu tun hat, fällt das helle und freundlich wirkende Haus inmitten eines Gartens auf, das am Eingang Ost liegt.

Die Bewohner des Hauses sind Mütter und Väter, deren schwerst an Krebs erkrankte und auch andere schwerst erkrankte Kinder in der Uniklinik behandelt werden.

Rund 2500 Familien haben seit Bestehen des Hauses das Angebot genutzt, während der Behandlung Ihrer Kinder im Haus zu wohnen.

Das Elternhaus soll den Familien die Möglichkeit geben, ein Stück "Normalität" zu leben. 
Es stehen Wirtschaftsräume zur Verfügung und ein Aufenthaltsraum, um den betroffenen Eltern die möglichkeit zu geben, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.

 Der Sinn: Sich gegenseitig helfen und stützen und die Angebote des Hauses nutzen. Dazu gehörenz.B.: Hausabende, kreatives Gestalten usw. Dies alles dient dazu, mal "weg" vom Klinikalltag zu kommen. 

Besonders die Kinder freuen sich auf das Elternhaus um nach Herzenslust zu spielen. Ein großes Spielzimmer steht ihnen hierfür zur Verfügung. Hier dürfen die Kinder mit Einverständnis der Ärzte für einige Stunden das "Krankenzimmer" vergessen, sich mit Geschwistern treffen und Geburtstag feiern. 
Der wichtigste Punkt des Elternhauses ist aber die psychologische Betreuung der Eltern durch die pädagogischen Kräfte des Hauses. Ihnen fällt eine der schwersten Aufgaben zu. Oft treffen "Freud" und "Verzweiflung" dicht aufeinander, dann ist es ihre Aufgabe, die Eltern durch die schwere Zeit während der Krankheit ihrer Kinder zu begleiten, sie zu stabilisieren und ihnen trotz allem Leid ein Gefühl von Wohlsein zu geben.

Kurzer Rückblick zur Entstehung des Elternhauses, wichtigste Daten: 
1985 Gründung der Elternhilfe für das krebskranke Kind
1986 Beschluss der Mitglieder, Bau eines Elternhauses
1987/1988 Umzug der Kinderklinik ins Klinikum
1988 Einweihung des Elternhauses
1992 Beginn des Projektes "Externer Schwestern"
1995 Einweihung des Anbaus
1996 Gründung des Vereins "KIMBU" - häusliche Krankenpflege -
1997 Einweihung des neu gestalteten Spielplatzes, Gründung der "Stiftung" Elternhaus an der Universitätsklinik Göttingen
1998 Beginn der Tätigkeit von "KIMBU", 10-jähriges Bestehen des Elternhauses
2003 15-jähriges Bestehen des Elternhauses

Kosten
Getragen wird das Elternhaus von der "Elternhilfe für das krebskranke Kind".

Durch das mit dem Kind aufgenommene Elternteil zahlt die Krankenkasse einen Pauschalbetrag pro Tag, so dass ca. 1/4 der Kosten des Hauses gedeckt sind. Der Rest von ca. 75% wird durch Spenden und dem Erlös der Stiftung finanziert, so dass den Eltern keine Zusatzkosten entstehen.

Nachtrag
Ich persönlich habe nicht im Elternhaus gewohnt, mein Sohn erkrankte 1982 an Krebs, ich bin während der stationären Behandlung täglich von Uslar nach Göttingen gefahren.

Viele positive Rückmeldungen kommen von Eltern, die im Haus wohnten, die sich dort während der schweren Phase gut betreut fühlten.

Ein großes "Dankeschön" an die Crew des Elternhauses, die mit offenem Ohr und geschulter Hilfe immer bereit steht.
Vielen vielen Dank!
Renate Fischer